Nicht selten waren in den vergangenen Jahren die Blicke auf den Umbruch in der DDR. Weniger häufig dagegen eine Einbeziehung von Zeitzeug*innen. Gerade das Engagement bewegter Bürger*innen erscheint dabei in vielen, breiter rezipierten Statements bis in die Gegenwart zumeist als Streben nach politischer, sozialer und ökonomischer Freiheit verallgemeinerbar, ohne dass Akteur*innen und Gruppierungen zu unterscheiden wären. Das herbst89onlinearchiv stellt demgegenüber den Versuch dar, die Vereinigte Linke als festen Bestandteil der entstandenen Bürger*innenbewegung in ihren Schnittpunkten mit anderen Positionen vor allem aber ihren politischen Eigenheiten sichtbar zu machen.
Appell zur Partizipation
Die Geschichte der Initiative für eine Vereinigte Linke droht in Vergessenheit zu geraten. Diese Geschichte für die Gegenwart nutzbar zu machen ist auf die Dauer nur auf der Basis von Dokumenten möglich. Sie zu sammeln soll die Aufgabe eines im Aufbau begriffenen Online-Archivs sein, dessen Träger die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern ist. Wir bitten alle Leser*innen unserer Publikation Sozialistische Alternative DDR 89, den schon vorhandenen Schatz an Zeugnissen und Erinnerungen zu erweitern und Flugblätter, Plakate, Manuskripte usw., die die Arbeit der VL belegen, diesem Vorhaben in digitalisierter Form zur Verfügung zu stellen.
Was will, was wollte die Vereinigte Linke ?
Die (Initiative) Vereinigte Linke entstand – wie viele andere Strukturen der Bürger*innenbewegung in der DDR – formal erst innerhalb des Protestgeschehens im Spätsommer und Herbst 1989. Als strikt basisdemokratisch ausgerichtete Organisation kritisierte sie – in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Protestierenden – die stalinistische Prägung des SED-Regimes, suchte jedoch gleichzeitig nach Konzepten jenseits des bald vermehrt angestrebten Übergangs zu Privatisierung und Marktwirtschaft. Gleichsam blieb die Findung und Weiterentwicklung von Positionen nicht allein in den lokalen Basisgruppen ein beständiger Aushandlungsprozess. Auch entwickelten zwischen diesen Basis- beziehungsweise Aktionsgruppen zuweilen unterschiedliche Schwerpunkte, wichen konkrete Konzepte für einzelne Politikbereiche voneinander ab – begriff sich die VL doch als Brücke zwischen (progressiven) Sphären der Protestdynamiken, deren gemeinsames Ziel im Sturz des Stalinismus ostdeutscher Prägung und dem Aufbau einer freiheitlichen Gesellschaft ohne Aufgabe zentraler Instanzen sozialer Sicherung bestand. Entsprechend trafen hier Akteur*innen von der akademisch geprägten Sozialistin bis hin zum eher aktionistischen Hausbesetzer aufeinander.
Ein „linkes Dokumentationszentrum“
Während sich das Wirken der VL vor allem in den Beständen einiger ostdeutschen Archive verstreut niederschlug, lassen sich die diese Splitter schwerlich zu einem umfassenden, differenzierten Bild zusammenführen. Wie bei vielen anderen Organisationen, die in der zweiten Jahreshälfte 1989 zu sich fanden, verblieb auch ein Großteil der Überlieferungen zur Vereinigten Linken zunächst in privaten Sammlungen. Gemeinsam mit Zeitzeug*innen trägt das herbst89onlinearchiv Dokumente der Vereinigten Linken zusammen, versucht ihre Kritik, ihre Ansätze, ihre Diskussionen um soziale, politische, ökonomische und nicht zuletzt auch ökologische Alternativen sichtbar zu machen. Die hier präsentierten Manuskripte, Protokolle, Rede, Plakate uvm. bieten dabei zugleich Einblicke in entstehende, bleibende, aber auch sich verändernde Inhalte und Positionen einer nicht selten humorvollen Vereinigung von Kritiker*innen. … weiterlesen …
Vermitteln und vermitteln lassen
So wenig Eingang die Vereinigte Linke in den Kanon „der“ Erinnerung an die Transformation in den heutigen Neuen Bundesländern ab dem Jahr 1989 fand, so unwahrscheinlich erscheint es auf der anderen Seite, dass eine bloße Zugänglichmachung von Dokumenten dies zu leisten vermag. Gerade die jüngsten Einwände gegen eine zu knappe zu lineare Einfügung von „1989“ in die Geschichte der Bundesrepublik deuten an, dass ein Blick auf die großen Demonstrationen, Runde Tische, Volkskammerdebatten und letztlich große Bündnisse wie das Neue Forum kaum das Spektrum des Engagements bewegter Bürger*innen erschöpfend zu erfassen vermögen. Gleichsam bedürfen gerade das Lokale bisher kaum vorliegender Erzählungen, um gesehen zu werden. Das herbst89onlinearchiv zielt daher über die Erarbeitung eines online-Archivs hinaus ebenso auf eine Aufbereitung der Materialien in digitalen Ausstellungen, Videos und Stadtrundgängen – Formate, die in hohem Maße durch Zeitzeug*innen mit entworfen und wesentlich durch diese gestaltet werden sollen und können.
Partizipieren
Bereits im Dezember 1989 hatte eine kleine Gruppe innerhalb der Berliner VL angeregt : Ein „linkes Dokumentationszentrum“1 müsse geschaffen werden, auch weil schon vielen Aktivist*innen im Protestherbst am Vorabend des Zusammenbruchs der DDR historische Bezugspunkte ihres Engagements kaum bekannt waren. Die Erinnerungen gerade an eine grundsätzlich basisdemokratische Struktur, die sich zudem in äußerst bewegten Zeiten engagierte und in der nicht weniges im Informellen verblieb, erscheint eine umfangreiche Einbeziehung von Zeitzeug*innen unerlässlich. Wenn Thomas Klein 1999 resümierte, dass es den Bewegten zehn Jahre zuvor womöglich vor allem gelungen sein könnte, „sich kurzzeitig an die Spitze des Protests zu stellen“2, ist mit Blick auf die Erinnerung wiederum der Versuchung zu widerstehen, sich vor jene zu schieben, deren Engagement die Vereinigte Linke ausmachte. Dem herbst89onlinearchiv ist es dabei nicht allein mit dem Aufnehmen von Expertisen der Zeitzeug*innen getan, vielmehr besteht das zentrale Experiment des Projekts – sowohl auf Seiten des Archivs wie auch der Ausstellungen – in einer Ermächtigung von Interessierten, ihrer Geschichte selbst zu erinnern. Beide Bereiche sind entsprechend mit dem Anspruch konzipiert, auch technischen Laien als handhabbare Werkzeuge zu dienen, dieses Vorhaben umzusetzen.
Anmerkungen
1 Geschichtsgruppe der „Initiative für eine Vereinigte Linke“: Zur Gründung eines Archivs vom 18. November 1989. In : Die Aktion 60 – 63/1990, S. 961 – 962, hier S. 961.
2 Thomas Klein : Außer Reden nichts gewesen ? Der Runde Tisch zwischen Volkskammer und Modrow-Regierung. In : Bernd Gehrke und Wolfgang Rüddenklau (Hrsg.): … das war doch nicht unsere Alternative. DDR-Oppositionelle zehn Jahre nach der Wende. Münster 1999, S. 222 – 243, hier S. 240.